PERSIL-SCHEIN

Dem ersten Gastspiel mit Papier.Krieg im Ausland, in Österreich, fahre ich voller Fragen entgegen: Gibt es dort ähnliche Erfahrungen aus dem vergangenen Jahrhundert, wie sie in meinem Stück abgebildet werden? Finde ich Resonanz? Oder werden hier die Jahre 1938 – 1945 einfach abgetan (wie in Deutschland oft böse behauptet wird)?
In einem der vielen Nachgespräche im Anschluss an die Aufführung weist mein Gegenüber auf die sog. Moskauer Deklaration von 1943 hin, wo (als Resultat der Außenministerkonferenz der alliierten Mächte in Moskau) Österreich als ‚erstes Opfer Nazideutschlands’ bezeichnete wurde – angeblich auf Betreiben Stalins. Ein Persilschein von Stalins Gnaden, so mein Gesprächspartner, der für die Nachkriegsgeschichte Österreich große Bedeutung hatte: Man musste sich nicht schuldig fühlen. Persil-Schein – auch so eine Wortschöpfung der Nachkriegszeit.
 
Es ist ja ein nachvollziehbarer Unterschied, ob eine Gesellschaft von einer grundsätzlichen Unschuldsvermutung ausgehen darf, wo dann dem einzelnen seine persönliche Schuld nachgewiesen werden muss, oder ob sie mit einem Kollektivschuld-Vorwurf konfrontiert ist, in der jeder einzelne seine Unschuld zu beweisen hat - und sich oft reflexhaft dagegen verwahrt. Was hat man seinerzeit als Jugendlicher damit gerungen, im Ausland mit Ressentiments, im Geschichtsunterricht immer wieder mit ‚deutscher Schuld’ konfrontiert zu werden! Schnell ist man bei einem trotzigen ‚Die anderen haben aber auch …’ – und gerade ‚die Österreicher’. Und nun eine Entschuldigung von Stalins Gnaden??
Nein, das ist kein erwachsener Blick. Auch wenn man noch so viele österreichische Täter und Taten aufzuzählen vermag (und auch im Gespräch aufgezählt bekommt) – Nazi-Deutschland war ein System für sich, energisch und aggressiv. Da gibt es einfach Unterschiede, die nicht zu leugnen sind.
Immerhin: Eine andere Gesprächspartnerin stellt bedauernd fest, dass es in Österreich keine auch nur annähernd so intensive Aufarbeitung der NS-Geschichte gegeben habe wie in Deutschland, und sie ist voller Hochachtung für das, was da jenseits der Grenze gesellschaftlich geleistet worden ist. Insofern sei auch Papier.Krieg als Teil dieser Auseinandersetzung ‚typisch deutsch’.
Als ich wieder im Zug nach Deutschland sitze, weiß ich: Es sind längst nicht alle Fragen beantwortet. Es sind neue dazugekommen, aber wenn Theater dazu beitragen kann, hat es doch einen Zweck erfüllt.

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